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Vom Steinbruch in die Kiesgrube
Eine kleine Geschichte vom Umsonst und von Draußen!

Wohl jeder hat in der Jugendzeit mal einen Stein ins Wasser des nahen Teichs oder Baggersees geworfen, um dann erstaunt festzustellen, wie viele Kreise solch ein kleiner Stein an der Oberfläche zu hinterlassen vermag.



Etwas ähnliches taten auch die Herren Kuhlmann, Otto, Schemel, Patz (als Musiker der Gruppe Hammerfest) mit ihren Freunden Mehnen, Peltner und Klinksiek – und wundern sich noch heute (unter anderem als „Alte Männer“) über die Ausmaße der Welle, die ein sprichwörtlich geworfener Stein aus der tiefsten ostwestfälischen Provinz in Bewegung gesetzt hat. Die Wellen besagten Steins schwappten jedenfalls 2009 bis in die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn, die sich des größten Umsonst & Draußen-Festivals rühmte…

Wobei wir dann den inzwischen leider verstorbenen Peter Rühmkorf zitieren sollten: „die Hunde und die Winde sind’s, mit denen wir gefahren, wir fielen ein in die Provinz mit aufgelösten Haaren…“

Doch von Anfang an und etwas chronologisch: Besagte Herren saßen am Glas-Couch-Tisch und planten einen ersten Auftritt ihrer Musikgruppe. Als Bühne war zunächst nur ein Anhänger gedacht, als Ort ein alten Steinbruch am Ortsrand von Valdorf (das gehört zwar zu Vlotho, hat aber seinen eigenen ländlichen Charakter und Charme…); fehlte noch eine halbwegs bekannte und bezahlbare Band, die für ein paar Besucher mehr sorgen sollte. Und weil Herr Peltner einen Schwager in Hamburg hatte, der sich ein wenig auskannte, rief er diesen kurzerhand an, und der rief in München an, weil er gerade mit Christian Burchard von Embryo ein anderes Projekt in Bielefeld beendet hat... der Stein kam ins Rollen, zumal man auch einige Musiker aus dem Herforder Umkreis eingeladen hatte.

Fazit: 2000 Menschen vergnügten sich bei Bier und Bratwurst vor und auf einem Trecker-Anhänger, sammelten Geld und Müll, hörten Musik und machten „einfach ihr Ding“. Zaungäste waren zwar nicht geladen, machten aber gern ihren Wochenend-Spaziergang, um die langhaarige, tanzende, Musik-machende und -hörende, lebendige Jugend mit einer Mischung aus Bewunderung und Ablehnung zu bestaunen.
Ein Kurz-Beitrag lief in der „Radiothek“ des WDR, später auch im NDR und
eine längere Sendung bei Radio Bremen – alle waren rundum zufrieden. Nun sollte ein neues Fest her - mit dem gleichen Grundgedanken: Musik und Fest für alle - ein Fest ohne Absperrungen, ohne Eintritt, ein Fest, bei dem alle die Selbstverantwortung für alle übernahmen.
Doch im Steinbruch würden die erwarteten 5000 Menschen keinen Platz mehr finden. Ergo bot die Stadt Vlotho den ganz in der Nähe liegenden Sportplatz auf dem Amtshausberg an - ganz in der Nachbarschaft des Jugendhofs: einer der beiden Jugendbildungsstätten der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland. Dort suchte man - und sucht wohl immer noch - nach neuen Konzepten und Inhalten, Jugendlichen politische und kulturelle Bildung zu vermitteln. Die Dozenten jedenfalls freuten sich ob des Studienobjekts Jugend, Musik und Selbstorganisation - greifbar, sinnlich erfahrbar: direkt vor der Haustür - und unterstützten ideell, wo sie nur konnten. Und jetzt brauchte das musikalische Lebensfreude-Kind auch einen Namen: UMSONST & DRAUSSEN kam ins Spiel - und wurde für das Festival 1976 akzeptiert.



Es gab die kleine Kommune Sundern am Rande Herfords – einer der ersten Versuche alternative Formen des Miteinanderlebens auszuprobieren, entstanden aus dem Umkreis eines der ersten selbst verwalteten Jugendzentren: Fla-Fla.
Und Norbert Hähnel (der später als „Der wahre Heino“ in der Punkszene wieder auftauchte) wollte in Bünde ein Festival veranstalten. Mit dabei sollten u. a. Klaus Doldingers Passport, Guru Guru und Alexis Korner mit Peter Thorup sein. Und weil die "Sunderaner" sich nicht nur mit Subkultur und alternativen Ideen auseinandersetzten, sondern auch so lebten, wurde auch alternativ über Festivals nachgedacht.
In London hatte die Edgar Broughton Band im Hyde-Park ein Free Concert gegeben. Die alternativen Blätter berichteten zwar darüber, doch war das nur ein Promotion-Gag oder ein ernsthaft gemeintes Engagement für ein interessiertes Publikum? Egal: Im Keller der Kommune Sundern wurde eine Woche gegrübelt, geschnippelt, geschrieben, Musik gehört, geliebt, gelebt - und irgendwann kam ein kleiner Zettelentwurf nach oben: ein mähender Mensch (aus einer Farm-Kommunen-Zeitschrift ausgeschnitten). Eine Idee war geboren, noch jungfräulich, aber schon einmal auf der Welt – auch wenn viele den Begriff Umsonst & Draußen erstmal "Scheiße" fanden: "open air and free, das wär's doch ..."
Verworfen, vergessen… bis zu einem regionalen Musikertreffen am Herforder Bismarckturm mit Missus Beastly, Virus, Jack Bone Group, Checkpoint Charlie und anderen. Das war umsonst und das war draußen und es wurde erstmals gesammelt. Es ging beileibe nicht um Almosen, nein, jeder sollte selbst bestimmen, was er zahlte für das, was die Musiker ihr oder ihm boten. Es war ein eher kleines Insider-Treffen - die Herforder Bevölkerung nahm dennoch regen Anteil; indem sie sich massenhaft im Rathaus darüber beschwerte, dass vom Bismarckturm eine rote Fahne wehe, sichtbar in der ganzen Stadt…

Doch zurück ins weitaus idyllischere Weserstädtchen Vlotho: Das erste Umsonst & Draussen auf dem Amtshausberg - Alle Festival-Macher und –Besucher fanden im Nachhinein, dass man diesen friedfertigen und die Provinz musikalisch bereichern-den Event wiederholen müsse. Selbst die Stadtväter von Vlotho konnten in dem bunten Treiben einen Imagegewinn erkennen und stellten den Sportplatz auf dem Amtshausberg, ganz in der Nähe des schon einmal erwähnten Jugendhofes, zur Verfügung. Doch schon vorher hatte sich die Musikerinitiative Ostwestfalen-Lippe (MOL)gegründet, eine von mehreren bundesweit entstandenen Zusammenschlüssen von Musikern. Die hatten begriffen, dass man zusammen einiges auf die Beine stellen kann - gemeinsam ist man halt stärker als allein, wenn es um Auftrittsmöglichkeiten, Gagen, Übungsräume… und so geht.

Andreas Klinksiek übernahm deren Koordination, zog mit anderen wie Norbert Hartmann, Annemarie Möller, Detlev Altrogge, Peter Klein und Waltraud Korfmacher und auch Volker Kohn zusammen, und dann wurde mit Kopf und Bauch und Hand und Fuß gewerkelt und gedacht: Eine mobile Bühne wurde zusammengezimmert, ein Programm erstellt, freie Theater-Gruppen, Einzelkünstler angesprochen und eingeladen – und den ungefähr 20.000 Menschen, die bei herrlichem Sonnenschein 1976 und 1977 den Vlothoer Amtshausberg besuchten, bot sich noch ein viel bunteres Bild: heiter, sonnig, hippiesk, noch immer mit allerlei („hast du schon gesehen…?) Urteilen (egal: ob vor- oder nach-gefasst) schnell beredten Sonntagsspaziergänger hatten ein nicht alltägliches Sommervergnügen – die Familie Kippschull, die ihr wunderbares kleines „Tante-Emma-Lädchen“ in Wohnzimmergröße aufgeben wollte, konnte noch mal richtig ein- und verkaufen, beraten und helfen – der TigerClub Mennighüffen und andere Motorradfahrer stellten sich in den Dienst der Sache, ordneten friedlich und freundlich – das THW, die Freiwillige Feuerwehr, das Rote Kreuz konnten und mochten sich mal richtig einsetzen und dabei sein…
Die Menschen kamen von überall - auch aus dem damals noch geteilten Berlin etwa Hans-Jürgen Grünfeld, ein kluger Kopf und der persischen Sprache mächtig: Er sammelte den „bakschisch“ mit Sufi-Versen. Die Musiker schleppten an Gerätschaften an, was sie hinten im Bandbus hatten, und ganz unkonventionell entstand daraus schließlich die Lautsprecheranlage.
„Miteinander“ hieß das „Zauberwort“ („Danke“ konnte schon jeder sagen), und wenn etwas nicht passte, wurde es eben ausdiskutiert, und das konnte für die eine oder für den anderen auch mal schmerzlich sein. „Gehör“ jedenfalls fanden immer die Musiker, die sich nicht irgendwelchen Veranstaltern anbiederten oder anbiedern mussten, sondern selbst mitgestalteten und mit entschieden - gehört wurden sie dann spätestens von der Bühne.
Ein schönes Fest, angesagte Musik von jungen Musikern, Spaß und Freude, ein echter Aufbruch: Noch allerdings fehlten gesellschaftliche und politische (vor allem kulturpolitische) Anerkennung - und genau darum kümmerten sich jetzt die Musiker selbst und Andreas Klinksiek: Es ging konkret um die Förderung von Eigeninitiativen. Eine Menge Schreib- und Überzeugungsarbeit, doch getragen von den Erfahrungen der zwei selbst organisierten Festivals. Geantwortet haben zwar einige, doch gefördert wurde wenig.

Das dritte Festival steht an: Klaus Wellershaus , der als Musikredakteur („Musik nach der Schule“ und “Musik für junge Leute“) des NDR nicht nur die Initiative, die Idee und den Zusammenschluss von Musikmachern und -hörern gut fand, sondern den Rezipienten vor allem auch die Qualität der Musik vermitteln wollte, kommt mit einem Ü-Wagen auf den Platz. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will übertragen, was musikalisch passiert. Doch in Vlotho passiert zunächst einmal gar nichts… Die kleine Stadt war lahm gelegt, die Idylle gestört, und wenn dann Menschen in einem Brunnen nackt baden, dann wird es manchem Kleinbürger doch zu bunt… Politisch war eine Fortsetzung von Vlotho nun nicht mehr tragbar.



Die Musiker fanden bei Dieter Husmann (den meisten als ‚Hussy‘ bekannt) im ehemaligen Kino „Odeon“ in Isselhort eine Bleibe, einen Übungs- und Auftrittsort. Und mit der benachbarten Stadt Porta Westfalica entdeckten die MOL-Macher einen Ort, wo man bürokratische Hindernisse eher locker sah. Die Kiesgrube wurde zum nächsten Austragungsplatz, die Stadt Porta Westfalica stellte Hilmar Lange sogar frei, die wichtigen organisatorischen Dinge vor Ort zu klären. Und Stadtdirektor Dr. Berger bat ins Rathaus. „Umsonst und Draussen“ war auf kommunalpoltischer Ebene angekommen.
Natürlich hatten auch die Musiker das Ihrige dazu beigesteuert: Bands, Gruppen tourten durch die Lande, und wie mittelalterliche Herolde konnten sie nun potenzielle Festival- Besucher und -Zuhörer einladen: „Das wird ein Fest…. es geht zusammen.“
Wolfgang Kuhlmann (Hammerfest): „Es war eine andere Republik, so jedenfalls haben das viele gesehen… ganz, ganz viele Hippies und Freaks mit ihren Zelten und Wohnwagen…



PS: Die Musiker (und nicht nur die) zogen durch die Lande und verkündeten: Umsonst und Draussen ist gut. Und guckt man heute einmal ins Internet, dann entdeckt man, dass es in zwischen ganz viele solcher Initiativen gibt. Mit Umsonst und Draussen wurde eine breite kulturpolitische Bewegung in Gang gesetzt, die heute noch weiterlebt. Die Gemeinschaft der unterschiedlichsten Menschen, das Kennenlernen und das gemeinschaftliche friedliche Feiern, die Entwicklung eigener Ideen und die kleinen Gemeinsamkeiten, die sich bewahrt haben, machen die Faszination aus. Musiker, Helfer, Rocker, Hippies, Alternative, die Jugendzentrenbewegung, Menschen von nebenan und viele mehr feiern wie eine große Familie. Und Generationen später lebt dies alles immer noch. Das Web gab es damals noch nicht, Musik wurde noch in Rillen gepresst, und ich habe viele namentlich nicht erwähnt, doch ihr alle wart dabei. Aber ganz besonders möchte ich doch noch Norbert Hartmann und Andreas Klinksiek erwähnen, die neben den Musikern all das - und da komm ich ins Ostwestfälische - „gestemmt“ haben.

HOMMAGE:
Danke an Euch alle: An Euch, die Ihr da ward zum Hören, Sehen, Erleben, Sammeln und Aufräumen - an Euch vielen aus der Jugendzentums- und Alternativbewegung, die Ihr geholfen und gefeiert habt - an Euch Musiker, die Ihr auch Organisatoren ward und nicht nur für Euren Auftritt „einflogt“. Und ganz besonderen Dank an Andreas Klinksiek, der mit immer neuen Möglichen und unmöglichen Ideen, einer Menge Idealismus und viel Überzeugungskraft die Feste angestoßen hat und darüber hinaus dafür sorgte, daß Ihr diese CDs überhaupt hören könnt, hat er doch maßgeblich die Musik in Rillen pressen lassen. Und unvermeidlichen Dank an Norbert Hartmann, der als „cooler“ Koordinator alles Un-Idealistische fest in Händen hielt – vom Toilettenwagen bis zum Bratwurststand; für Feuerwehr, THW und Rotes Kreuz, Polizei, Stadtverwaltung, Anwohner, Besucher und Musiker Ansprechpartner war und immer, wenn es um organisatorische Probleme ging, eine Lösung fand.

SCHAFFT NOCH VIELE UMSONST & DRAUßEN!

Günter Scheding