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Deutschland im Sommer - Leben in der Todeszone

Rock- und Kunstmeeting in Vlotho 1979

Vor‘n paar jahren hatten ne menge freaks und musiker die schnauze voll davon, sich auf irgendwelchen ghettorockfestivals unter polizeibelagerung und für kriminelle eintrittsgelder musik anzuhören, die mit dem, was rock, blues oder jede andere musik, die von unterdrückten kommt, ursprünglich ausgedrückt, nichts mehr zu tun hatte.
Damals entstand Vlotho „Umsonst und Draussen“. Leute aus der gegend, bands, jugendzentren, kommunen, die sich kannten und befreundet waren, wollten ein fest machen, auf dem was anderes abgehen sollte, als auf herkömmlichen festivals: Tagelang aufeinander zu hocken und sich marathonmässig musik reinzudrücken, die, jede menschliche aufnahmefähigkeit überschreitet, und wo bühne und publikum durch Stacheldraht getrennt sind. Einfach ein fest sollte es sein, ne situation, in der ideen, kommunikation, phantasien, auseinandersetzungen sich frei entwickeln können. Von allen, denn alle waren eingeladen.
Keine kommerziellen gründe, keine popstars, sondern einfach der wunsch nach einem fest von allen für alle. Das ist es geworden trotz vieler Schwierigkeiten, die es immer wieder gibt. Die musik, theater, clowns u.s.w. sind nur ein teil der Vlotho-geschichte, genauso wichtig sind z.B. die versorgung mit gutem essen, die organisation, das geld sammeln, informationen über alternativen und die tägliche reinigung des geländes (80.000 leute waren letztes mal da), an der sich alle beteiligen weil sie wissen, daß es ihr fest ist. Ich möchte dazu ‚einen ausschnitt aus einem brief von schülern des gymnasiums in Rinteln zitieren, der für sich spricht:

„Wir langweilen uns fast zu tode. Je länger man zur schule geht, um so sinnloser erscheint sie einem, wir fragen uns, wie lang wir die kälte um uns herum noch ertragen können. Man setzt hoffnungen in die paar wochen sommerferien, an deren ende man dann jedesmal feststellen muß, daß die zeit zu kurz war, um ein mensch werden zu können. In diesem zusammen- hang sollte man die rolle eurer „Umsonst und Draussen“ veranstaltung nicht unterschätzen. Sie ist für uns hier eine gute möglichkeit, endlich mal ‚ne menge vernünftiger menschen auf einem haufen zu treffen, damits weitergeht.“

Die idee sowas durchzuführen war wirklich phantastisch. Es ist schön zu spüren, daß Vlotho kraft geben kann auf dem weg zu einem menschlicheren leben. Inzwischen steht die "Umsonst und Draussen“ Idee auch nicht mehr allein. Es gibt jetzt mehrere plätze in deutschland wo ähnliches versucht wird. Es ist aber auch wirklich an der zeit, denn es ist nur noch selten was zu spüren von dem, was das rockfeeling so umfaßt, nämlich raus aus der atmosphäre des warmen chefarschleckens und den damit verbundenen verhaltensnormen: wer am besten schleckt, leise auftritt, sich in genormten biomatenredewendungen ausdrückt, ordentlich und sauber ist, gehorcht, bei der arbeit, zu haus, bei der bundeswehr und überall kann sich ein auto, mann, frau, fernseher, haus usw. kaufen oder sich das gehirn mit ketschup mästen. Die väter haben lange die große kohle gezogen aus dem, was sie am beginn als „urwaldmusik“ bezeichneten, (sie haben die ecken und kanten dieser musik auch so abgeschliffen, daß man sie nur noch als vorgarten der bundespräsidentenmusik bezeichnen kann) und die söhne sind ihnen nachgefolgt, diese lackierten popärsche mit ‚ihren sterilen klischeesounds. So‘n amerikanischer undergroundpoet hat mal den Spruch getan: „Wenn die musik sich ändert, erzittern die mauern der Städte.“ Bis jetzt hats nur selten gezittert und wenn einer sogar die hoffnung hatte, daß vor lauter zittern was zusammenbricht, darin isser bös enttäuscht worden. Aber die zukunft liegt in den eiern unserer phantasie und es gibt auch ne menge musiker und freaks, die auf unsere musik stehen, die einiges ausgebrütet haben und noch immer gemeinsam voll lust am brüten sind (100 oder 1000 oder 80.000 (Vlotho 78) da kriegen sie langsam ohrensausen - ton-steine-scherben). Das wird helfen, unsere wirklichen bedürfnisse zu erfahren und damit dieses system zu ändern.
Also, wir stehen bis zum nabel in der popscheiße und legen Vlotho-eier und jedesmal, wenn so ein Vlotho-ei platzt, dann knallt die scheiße durch die klimatisierten großraumbüros von CBS und die musikpostillen der bewustseinszermatschungsindustrie. Der kampf gegen die ausbeutung des bedürfnisses nach musik, ist ein teil des kampfes gegen jede unterdrückung. MUSIKER UND MUSIKHÖRER ALLER LÄNDER - VEREINIGT EUCH und natürlich nicht nur ihr. Das schlimme an der ganzen popscheiße ist, daß die meisten musikgruppen sich selber total den verblödungsgesetzen der musikindustrie angepasst haben. Ihnen ist es scheißegal, wieviel eintrittsgeld ihr bezahlen könnt und ihre absicht ist, kohle rauszuschlagen, genau wie ihre manager. Der botschaft von der freiheit, der neuen art zu fühlen und zu denken, die unsere musik vermitteln sollte, haben diese musikbeamten die spitze abgebrochen und sie schön schmierig an die konsumgewohnheiten angepasst. Diese gruppen haben kein interesse an kommunikation mit euch, sondern nur daran, gewinnbringend vorm publikum zu onanieren. Die rockmusik erfüllt heute zum größten teil dieselbe funktion die alle bürgerlichen kulturellen einrichtungen nämlich verdrängen: Ablenkung von der beschissenen lage im täglichen leben (umwelt, arbeitsplatz, schule, elternhaus). Die musik, die sich auflehnt gegen unterdrückung, ist vor den musikern eine erwiderung auf gesellschaftliche verhältnisse. Diese musik kann aber nur ehrlich bleiben, wenn sie draußen bleibt aus dem system. Wenn die musiker sich selbst organisieren. Im leben als gruppe, bei der verbreitung ihrer musik, beim veranstalten von konzerten; zusammen mit freaks, die interesse daran haben, zu sehen, wie sich menschen durch ihre musik ausdrücken; und nicht daran, daß auf der bühne ein musikautomat steht, der von managern verkauft wird, deren beruf es ist, mit irgend einer ware märkte zu erschließen, seien es bomben oder musik. Aber es gibt immer mehr lichtblicke. Die musiker Kooperative Schneeball (früher April), die auch irgendwie im zusammenhang mit Vlotho entstanden ist, macht schon zwei jahre ihre sache selbst, unabhängig von jeder mafia. Viele gruppen haben daran gesehen, was möglich ist, und bringen ihre eigene geschichte. Überall ist diese musik wieder da zu hören, wo sie herkommt, aus dem widerstand. Obs um selbstverwaltete jugendzentren geht, um ne linke tageszeitung, Rock gegen Rechts, um geld für angeklagte AKW-gegner, um alternative projekte usw. die musik ist wieder dabei, unterstützt und hat was dazu zu sagen. Unabhängig davon ist die scene so groß, daß es inzwischen möglich ist, gute konzerte zu machen, für wenig geld, gemessen an der kommerz-scheiße, die sonst am kochen ist.
Über Vlotho/Porta ist schon viel geschrieben worden, meistens von journalisten und gehirnspastikern, die mit "nem notizbuch im kopf und den schwanz in der Schiesser-unterhose eingeklemmt ihre berufsrunden drehend, irgendwelche klischeekacke verbraten à la „Die neue Woodstockgeneration geht ihren weg“ oder „Grüß Gott, wir waren auch im Zoo!“ wie immer, wenn in diesem land leben entsteht, stehen die dosenköpfe davor und lassen ihre erbsen klappern, aber gerade das ist unsere große chance, denn sie begreifen nicht, daß hier eine der situationen ist, in der sich leben entwickelt und leben ist sabotage am tod, der uns bis jetzt noch überall umgibt!
Mir, der Vlotho mitmacht und dabei ist, fällts schwer, was drüber zu sagen. Lieber wärs mir, Ihr wärt einfach da, wenns soweit ist und erlebts, aber Ihr müßt ja davon erfahren, und so muß halt ‚ne beschreibung herhalten. Komm nach Porta, vielleicht wird hier was von dem traum wirklichkeit, den Du im kopf hast. Denn nur die erfahrung der wirklichkeit kann uns die kraft geben, uns auszuschrauben aus der maschine und was zusammen zu machen, was spaß macht. Kommt alle hin, Ihr schule-, elternhaus-, arbeitsplatz-, underground- und politische arbeit-geschädigten, alle einsamen, hoffnungsvollen und ängstlichen, laßt uns ein paar sommertage zusammen sein musik machen, spielen, tanzen, reden, essen und arbeiten! Viele von Euch werden vielleicht anders von dort fortgehen, als sie hingekommen sind; denkt daran: 1984 ist nicht mehr weit und bevor sie Dich am fließband ermorden oder an den unis zu intelligenten idioten verarbeiten, merke: Halb mensch halb fahrrad, mußt Du Dir was einfallen lassen und dort fällts Dir vielleicht ein.

Vlotho 1979 „Umsonst und Draußen“ findet am 17., 18., 19. August an der Porta Westfalica statt.

Checkpoint Charlie | 1979